Obdachlose Menschen brauchen vor allem eines: Wohnungen. Diese werden im Projekt “Housing First Hamburg“ vermittelt. Wie gelingt der Weg von der Straße in die eigene Wohnung?
„Der Grundgedanke von Housing First: Zuerst eine Wohnung, dann alles Weitere“
Was ist Housing First?
Housing First ist ein Konzept, das in den 1990er Jahren in den USA entwickelt wurde mit dem Ziel, obdachlosen Menschen sofortigen Zugang zu Wohnraum zu ermöglichen. Der Grundgedanke: „Zuerst eine Wohnung, dann alles Weitere“. In Hamburg hat sich die Stadt entschieden, dieses Konzept zu erproben. Wir haben mit dem Projekt im Juli 2022 begonnen und schon über 30 Menschen konnten bereits ihre Wohnung beziehen.
Warum ist Housing First ein so guter Ansatz?
Menschen, die auf der Straße leben, haben in erster Linie kein Zuhause. Die fehlende Unterkunft ist das grundlegendste Merkmal von Obdachlosigkeit, weshalb es auch naheliegend ist, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Aus sozialarbeiterischer Perspektive ergibt dieser Ansatz absolut Sinn, da eine Wohnung die Basis für die Bearbeitung weiterer Probleme darstellt, wie zum Beispiel Schulden, psychische Probleme oder Suchterkrankungen.
Justin Lander arbeitet als Sozialarbeiter im Projekt Housing First Hamburg. Er unterstützt seine Klient*innen bei der Wohnungssuche und begleitet sie auch danach im Alltag. Im Interview gibt er uns Einblicke in seine Arbeit.
Was sind die Vorausetzungen?
Die Personen müssen sozialleistungsberechtigt und volljährig sein. Und sie sollten sich auch einigermaßen an Absprachen halten können.
Wie erreicht ihr die obdachlosen Menschen?
Unsere Arbeit beginnt in Zusammenarbeit mit den Straßensozialarbeiter*innen – also auf der Straße. Diese haben direkten Kontakt zu obdachlosen Menschen und wissen, wer gut ins Projekt passt und die Zugangsvoraussetzungen erfüllt.
Wie ist der konkrete Ablauf bei euch?
Sobald eine Person Teil des Projekts wird, beginnt ein Prozess der intensiven Unterstützung. Wir begleiten sie nicht nur bei der Suche nach einer Wohnung, sondern sind auch während des gesamten Anmietungsprozesses an ihrer Seite. Das beinhaltet die Besichtigung potenzieller Wohnungen, die Begleitung bei Terminen mit Vermieter*innen und alle bürokratischen Schritte, die mit der Anmietung verbunden sind. Dabei legen wir Wert darauf, dass die Bedürfnisse der Klient*innen berücksichtigt werden. Es geht darum, einen Ort zu finden, an dem die Menschen sich langfristig wohlfühlen.
Straßensozialarbeiter*innen der Diakonie Hamburg knüpfen Kontakte zu obdachlosen Menschen, bauen Vertrauen auf und verweisen an Housing First Hamburg. Die Arbeit der Straßensozialarbeiter*innen basiert größtenteils auf Spenden.
Welchen Einfluss hat Housing First auf die Menschen?
Der Schlüsselmoment ist meistens die Wohnungsübergabe, wenn wirklich klar wird: das ist jetzt meine Wohnung. Ab diesem Moment haben unsere Klient*innen ein sicheres Dach überdem Kopf, ein Gefühl von Stabilität und Zugehörigkeit. Dadurch können sie sich auf andere Lebensbereiche konzentrieren, persönliche Probleme angehen und langfristige Ziele verfolgen.
Welcher Moment bleibt dir besonders in Erinnerung?
Ein besonderer Moment war die Wohnungsübergabe an einen Herrn, der bereits jahrelang auf der Straße gelebt hatte. Als er zum ersten Mal die Tür zu seiner eigenen Wohnung aufschloss und den Schlüssel in der Hand hielt, war die große Erleichterung deutlich spürbar. Heute hat er seine Wohnung sehr gemütlich eingerichtet und damit angefangen, viele seiner persönlichen Probleme zu bearbeiten.
Was wünschst du dir für obdachlose Menschen?
Natürlich wünsche ich mir, dass keine Person mehr auf der Straße leben muss und für alle eine Wohnung zur Verfügung steht – auch wenn das aktuell noch in weiter Ferne liegt. Darüber hinaus ist es mir aber sehr wichtig, dass wir den Menschen, die auf der Straße leben müssen, auf Augenhöhe begegnen und sie als Menschen wie dich und mich sehen.