Spendenreport: Interview

Medizinische Hilfe für Frauen auf der Straße

Im Sperrgebiet finden Frauen Schutz, die der Armutsprostitution nachgehen. Seit 17 Jahren hilft ihnen die Ärztin Dr. Karin Wirtz.

„Dr. Karin“, wie sie von vielen Frauen genannt wird, ist die Zusammenarbeit mit den Sozialarbeiterinnen wichtig. Gemeinsam schauen sie, was die Frauen brauchen und wie sie am besten helfen können.

Wer kommt zu dir in die Praxis?

Das ist sehr unterschiedlich. Die meisten Frauen, die das medizinische Angebot im Sperrgebiet wahrnehmen, haben keine Krankenversicherung und leben auf der Straße. Einige kommen in Obdachlosenunterkünften unter. Manche meiner Patientinnen können sich durch die Armutsprostitution ein Zimmer finanzieren, wiederum andere kommen bei Freiern unter. Dort besteht jedoch die große Gefahr, Gewalt zu erleben, da Freier die Notlage der Frauen häufig ausnutzen.

"Die meisten Frauen haben keine Krankenversicherung und leben auf der Straße"

Wie hilfst du den Frauen im Sperrgebiet?

Ich höre zu und verschaffe mir zuerst einmal ein ganzheitliches Bild von der Frau, ihren gesundheitlichen Problemen und ihrer aktuellen Lebenssituation. Mir gefällt besonders an der Arbeit, dass ich keinen wirtschaftlichen und zeitlichen Druck verspüre wie in einer kommerziellen Praxis. Ich kann mich ganz auf die Patientin einlassen. Dabei habe ich in erster Linie meine Augen, meine Hände und das Stethoskop zur Verfügung und versuche anhand von dem, was mir die Frauen erzählen, eine Diagnose zu stellen. Wenn ich nicht weiter weiß, verweise ich an andere spezialisierte Ärzt*innen und Angebote. In diesen Fällen fungiere ich als zentrale Anlaufstelle, vernetze und bringe die Diagnosen zusammen. Die Frauen sind sehr dankbar, dass ich aufgrund der Spenden Medikamente privat verschreiben kann und wir die Kosten übernehmen können.

„Dr. Karin“, wie sie von vielen Frauen genannt wird, ist die Zusammenarbeit mit den Sozialarbeiterinnen wichtig.

Welche Krankheiten behandelst du?

Das ist ganz unterschiedlich. Es beginnt bei wund gelaufenen Füßen, reicht bis zu unbehandelten HIV-Infektionen und anderen chronischen Krankheiten wie schweren Herz- und Lungenerkrankungen. Das Spektrum an Erkrankungen, mit denen ich konfrontiert werde, ist sehr breit. Was mir auffällt ist, dass die Anzahl der Fälle zunimmt. Den Frauen fehlt meist das Geld, um Medikamente privat zu finanzieren, da diese einfach zu teuer sind. Dabei sind manche Medikamente für die Frauen lebensnotwendig – diese Tatsache bereitet mir immer mehr Sorgen.

„Manche Medikamente sind für die Frauen lebensnotwendig.“

Was wünschst du dir für deine Patientinnen?

Ich wünsche mir, dass es eine geregelte Gesundheitsversorgung gibt, auf die alle Menschen ein Anrecht haben. Aktuell basiert die Gesundheit der Frauen nämlich darauf, dass ausreichend Spenden für medizinische Hilfe und Angebote wie das Sperrgebiet, Andocken, das Diakonie- Zentrum für Wohnungslose und andere vorhanden sind. Auch wenn mir meine Arbeit Spaß macht, würde ich mir wünschen, dass Menschen in prekären Lebenssituationen nicht auf die Bereitschaft und das Wohlwollen einzelner Ärzt*innen und Spenden angewiesen wären. 

Was treibt dich an, diese Arbeit zu machen?

Hier im Sperrgebiet ist alles vereint. Durch die prekären Lebensverhältnisse geht es nicht nur um die unterschiedlichen Symptome und Krankheiten, sondern auch um eine Vielzahl an sozialen Herausforderungen. Mir bringt die Zusammenarbeit mit den Sozialarbeiterinnen viel Spaß und wir sind ein gutes Team. Mich motivieren die Begegnungen und die positiven Rückmeldungen der Frauen. Es ist oft das kleine Dankeschön oder einfach das Vertrauen meiner Patientinnen, das mich antreibt und motiviert weiterzumachen.

„Ich dachte darüber nach, was diese Frau erlebt haben muss.“

Was sind das für Begegnungen?

Was mich kürzlich sehr berührt hat, war eine Frau, die mit ihrem Sohn geflohen ist, weil ihr Gewalt angedroht und ein Familienmitglied erschossen wurde. Sie sah keine andere Möglichkeit, als das Land zu verlassen und versucht nun durch Prostitution in Hamburg über die Runden zu kommen. Solche Begegnungen berühren mich als Mutter besonders. Ein anderer schwerer Fall hat mich länger beschäftigt. Eine Klientin von uns wurde Opfer schwerster Misshandlung und kam ins Krankenhaus. Aus Angst vor einer unbezahlbaren Rechnung verschwand sie jedoch aus dem Krankenhaus und kam zu mir. Sie hatte eine 20 cm große Wundnaht am Kopf und ein blaues Auge und bat mich um Hilfe. Das Erste, was sie sagte, war: "Schatzi, wie geht es dir?" Das werde ich nie vergessen, denn ich dachte darüber nach, was diese Frau erlebt haben muss. Das ist nicht der Alltag auf der Straße, aber es hat mir deutlich gemacht, wie schutzlos die Frauen und wie wichtig unserer Angebote sind!

Der erste Kontakt mit den Frauen erfolgt meist direkt auf der Straße. Die Sozialarbeiterinnen bauen Vertrauen auf und laden in die Beratungsstelle Sperrgebiet ein.